Ruanda

We´ll never play alone

In der Saisonvorbereitung zählen Trainingslager, Testspiele und Turniere zum Standardprogramm. Die Strecke, die unsere 1. Männer dafür auf sich nahmen, war mit einer fast 6.500 Kilometer langen Luftlinie von Hamburg bis nach Kigali dagegen schon außergewöhnlich. Nur gut, dass sie die Distanz nicht mit dem Team-Bulli meisterten, denn über den Trans-Sahara-Highway wären es gute 10.200 Kilometer gewesen – one way! Da hätten mehr Zigaretten-Pausen als bei den üblichen Wochenendtouren quer durch Schleswig-Holstein eingeplant werden müssen. Hier ein Erfahrungsbericht:

Wie auf der A7 und A23 stockte aber zeitweise der Verkehr, als unsere Kleinbus durch die Straßen der Hauptstadt tuckerte. Selbst in Ruandas Metropole ist dieser Anblick eine Seltenheit und zog interessierte Blicke und ungläubiges Staunen nach sich. Große Augen machten aber auch wir, als wir zum ersten Mal das Spielfeld im Stadtteil Kimisagara betraten. Eine Woche lang trainierten und spielten wir gemeinsam mit unserem neuen Partner dem Gorillas Handballclub – in ungewohnter Umgebung. Eingebettet im Tal einer Häuser-Schlucht, die an die Favelas südamerikanischer Metropolen erinnerte, lag der mit Betonsteinen gepflasterte Freiplatz. Der „weiche“ Boden der geliebten Heimspielstätte an der Budapester Straße fehlte, keine Wände an den Seiten oder hinter den Toren. Tribüne und Auswechselbank war eine kleine Mauer, die rund um den Spielfeldrand verlief. Statt Neonröhren an der Decke kreisten Adler über den Köpfen – bis auf ein Vogelpaar, das auf einem Flutlichtmast nistete.

Zehn Monate sind vergangen, als zum ersten Mal die Idee eines Handball-Workshops in Afrika auf den Tisch einer kleiner Pho-Suppenküche im Karolinenviertel kam – „We’ll Never Play Alone“ war geboren. Dass wir unser Projekt so schnell umsetzen konnten, damit hatte niemand gerechnet. Auch Anaclet nicht, der die Jugendakademie der Gorillas leitet. Nach den ersten Kontakten hatte er auf Trainingsmaterialen oder den Besuch von ein, zwei Leuten gehofft, dass jetzt fast unsere komplette Mannschaft mit nach Ruanda reiste, hatte auch ihn genauso wie uns positiv überrascht.

Trotz der finanziellen und materiellen Unterstützung für die Gorillas haben wir uns nicht als Entwicklungshelfer gesehen. Wir konnten Dank der tollen Vorbereitung des Trainings-Camp durch Klaus, Janny und Lukas unsere Trainingsmethoden und ein bisschen Basisarbeit was die Trainingsgestaltung angeht leisten - mehr auch nicht. Unsere Reise  war vielmehr ein kultureller Austausch und bot uns allen die Gelegenheit, Vorurteile zu entkräften sowie Berührungsängste abzulegen. Schon bei der Ankunft im Sportzentrum wurden wir neugierig von den Kindern beäugt. Es folgten die ersten kleinen Finger, die zögerlich unsere weiße Haut - in den folgenden Tagen auch etwas rötlicher - berührten, nur um anschließend lachend die Flucht zu ergreifen. Das war aber nur eine kurze Momentaufnahme, denn bald war eine Traube aus Kindern unser ständiger Begleiter. Genauso wie die „Abazungu, Abazungu“-Rufe. Das bedeutet auf Kinyarwanda, einer der fünf Amtssprachen Ruandas, frei übersetzt „Weiße“. Ursprünglich bezeichnete der Ausdruck aber jemanden, „der ziellos herum wandert“ – wir waren hier aber genau richtig!

Die vielen Kinder in Kimisagara waren der Grund für die Gründung der Gorillas und ihrer Jugendakademie. „Viele Jugendliche sind auf die schiefe Bahn geraten, verließen die Schule und verbauten sich so die Chance auf eine berufliche Perspektive. Mit der Handball-Akademie haben wir es geschafft, Kindern und Jugendlichen eine Perspektive aufzuzeigen und einen Halt in schwierigen Lebenssituationen zu geben“, erklärte uns Chairman Alfred. Ruanda zählt zu den ärmsten Ländern Afrikas. Eine vierköpfige Familie verfügt über rund fünf Euro am Tag, etwa 60 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Durch Schul-Stipendien für gute Sportler haben Kinder aus finanzschwachen Familien die Chance, eine bessere oder weiterführende Schule zu besuchen, denn nur die Grundschulen sind nicht kostenpflichtig.

Trotz der vielen gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede war es faszinierend, wie einfach wir sie durch den gemeinsamen Sport überbrücken konnten. Den Schlusspunkt der Projektwoche markierte ein Testspiel gegen ein All-Star-Team der Gorillas-Akademie. Die Partie endete mit 21:20 knapp für die Locals, die sich selbst von einer zehnminütigen Spielunterbrechung nicht von der Siegerstraße abringen ließen. Ein Stromausfall im Viertel hatte die Flutlichtanlage außer Funktion gesetzt. Kennen wir auch, wenn wir die Trainingszeiten in der Buda überziehen...

Es war die zweite Niederlage im dritten Spiel. Aber unsere Gegner waren auch wirklich gut, einige hätten sicherlich auch bei uns in der Oberliga mithalten können – wenn sie sich an unseren Platz, Klima und Essen gewöhnen. Die  strapaziöse Reise dezimierte unseren Kader an einigen Tagen. Da gab es dann Pendelläufe zwischen Klo und Bett statt auf dem Platz! Nach der Partie wurden noch schnell Telefonnummern und Facebook-Kontakte, Schweißbänder und Shirts gegen kleine Andenken sowie Schuhe gegen einen Händedruck ausgetauscht.

Der Koffer war bei der Rückreise etwas leichter, dafür der Kopf umso schwerer. Mit Blick auf die Saison war es keine optimale Vorbereitung, aber so eine Reise erlebt man ja auch nicht alle Tage. Ein einmaliges Erlebnis soll das Projekt aber nicht bleiben. Wir haben mit den Gorillas verschiedene Möglichkeiten der weiteren Partnerschaft besprochen. Von weiteren gegenseitigen Besuchen bis hin zum Austausch von Trainingsinhalten per Video-Schaltungen.

Denn für uns alle steht fest: We’ll Never Play Alone!

Ruanda-Doku