2018-04-01 14:58
FC St. Pauli 5 – SC Alstertal-Langenhorn 3 24:25 (10:13)
24.3.2018, 19;45, Thedestraße
Ein Freiwurf für ein Halleluja
In der Reihe „historische Spiele“ ist knickwurf.history heute zu Gast bei dem bekannten Sportanalytiker Martin Wilde. Der „Mann mit dem Röntgenblick“, wie er in Fachkreisen heißt, empfängt uns in seinem Anwesen am Elbhang. Als architektonische Verkörperung seines Geschäftsmodells strahlt der langgezogene Flachbau eine Klarheit und Transparenz aus, die jedem Bauhaus-Architekten zur Ehre gereicht hätte. Die hohe Lage des Gebäudes und die riesige Glasfront bieten einen beeindruckenden Panoramablick über das Urstromtal. Wie alle Gegenstände in dem hellen und luftigen Raum sind auch unsere Sessel aus edelsten Materialien, doch in klarem, einfachem Design gehalten. In unseren Kristallgläsern schimmert eine transparente Flüssigkeit von ätherisch leichtem Geschmack.
knickwurf: Köstlich! Was ist das?
Martin Wilde: Das ist Leitungswasser.
kw: Herr Wilde – oder dürfen wir „Martin“ sagen?
Martin: Ihr dürft „Wilde“ sagen.
kw: Zu Beginn eine kurze Frage, die unsere Leser brennend interessiert. Sie sind heute der führende europäische Sportanalyst – eine Branche, die sie überhaupt erst begründet haben. Stimmt es, daß sie ihren wirtschaftlichen Durchbruch ausgerechnet mit einer Analyse über den HSV erzielt haben?
Wilde: Das ist wohl so. Heute kann ich‘s ja sagen. (stolz:) Ich habe herausgefunden, warum der HSV so scheiße ist!
kw: Ach! Damit kann man Geld verdienen? Dem HSV hat das ja nicht viel genutzt…
Wilde: Das nicht. Aber gewisse Kreise haben eine ganze Menge Schweigegeld springen lassen.
kw: Aber lassen sie uns auf unser eigentliches Thema kommen: erinnern sie sich an das Spiel mit der 5. Herren gegen Scala? Im März 2018?
Wilde: (zieht eine Augenbraue hoch, skeptisch) Daran erinnere ich mich sogar sehr gut…
kw: In dem Spiel gab es ja eine vierzigminütige Unterbrechung, weil ein Spieler von Alstertal neben dem Tor von St. Pauli gewaltige Schmerzen litt, nachdem er infolge eines Sprungwurfs nach einem Wackler auf die linke Hüfte gestürzt war. Welche Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf rechnen sie diesem Ereignis zu?
Wilde: (stutzt kurz, nimmt dann seine Brille ab, putzt sie und setzt sie weder auf) Also das ist jetzt wirklich kackdreist. Das kann man nicht anders sagen.
kw: (verdattert) Bitte?
Wilde: Das warst doch du, der den ganzen Laden zum kippen gebracht hat mit dieser roten Karte! Und jetzt tust du so als sei das Jahre her und rückst absolut nebensächliche Dinge ins Rampenlicht! Ihr Journalisten seid doch alle gleich. Das war letzte Woche! Und du hast‘s verbockt!
ich: Äh...
Wilde: Wir haben endlich die Abwehr auf sie eingestellt, gehen in Führung, spielen in Überzahl. Und dann wirfst du einem Gegner ‘nen Freiwurf ins Gesicht! Einfach so. Allein unsere Fassungslosigkeit hat uns drei Gegentreffer eingebracht. Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?
ich: Da war ‘ne Lücke…
Wilde: (laut) Klar war da ‘ne Lücke! Die Mauer stand zu weit links und der Torwart auch. Aber die war woanders, die Lücke! Warum hast du den Ball nicht einfach durch die Lücke geworfen?
ich: (stammelnd) Ja, also, weißt du… das ist nicht so einfach, das hab‘ ich ja versucht, aber…
Wilde erhebt sich seufzend und läßt nach seinem Sohn rufen. Er drückt ein paar Knöpfe und an der Rückwand des Raumes senkt sich ein Handballtor herab, im Boden leuchten die Markierungen auf und aus der Decke senken sich Pappkameraden im Scala-Trikot. Wildes Sohn betritt mit einem Apfel in der Hand den Raum. Routiniert setzt er sich an den linken Torpfosten und stellt den Apfel auf seinen Kopf. Wilde stellt sich an die Neunmeterlinie und glotzt harmlos die Abwehr an. „Der Arm bleibt ganz leicht angewinkelt, “ erläutert er „und schwingt auf Hüfthöhe. Und mit der Hand gibst du dem Ball die Richtung. Halbhoch!“ Kaum ausgesprochen, fegt der Ball den Apfel vom Kopf seines Sohnes und schlägt mit sattem Klatschen neben dem Pfosten ein. „Jetzt du.“ sagt Wilde und ich sehe, wie sein Sohn von einem heiligen Schrecken durchzuckt wird. Die Gelassenheit verläßt seinen Körper wie die Seele einen Toten. Zitternd sackt er am rechten Pfosten zusammen. Den Apfel muß er festhalten, damit er nicht runterfällt. Ich stelle mich zum Freiwurf auf, hole tief Luft, beuge das rechte Knie etwas, führe den Arm leicht gebeugt auf Hüfthöhe nach vorne. Ehe ich mit dem Handgelenk irgendwas tun kann, plumpst der Ball auf den Boden. Wildes Sohn atmet auf. Erregt greife ich mir den Ball, gehe zurück in Position und ziehe ihn über den Kopf, durch die Lücke halbhoch die lange Ecke anvisierend. Krachend knallt der Ball gegen den Kopf eines der Pappkameraden. Ich schüttele den Kopf. Wilde schüttelt den Kopf. Wildes Sohn sucht das Weite.
ich: Siehst du? Geht nicht.
Wilde: -
ich: (trotzig) Und überhaupt. Nach zwei Minuten wart ihr wieder vollzählig, es waren noch zwanzig Minuten zu spielen und sowieso war ich zuletzt selten länger als zwanzig Minuten auf dem Platz…
Wilde: (scharf) Du fliegst bei 15:15 raus. Zwei Minuten später steht es 15:18. Nachdem die vorher fünf Minuten für ein Tor gebraucht haben! Woran hast du gedacht, als du draußen warst?
ich: (zerknirscht) Daran, was das für eine dämlich rote Karte war…?
Wilde: Jawohl! Und wir auch! Die war so dämlich, daß du alleine deswegen an der Niederlage schuld bist. Soviel Bier gibt‘s gar nicht, wie du uns dafür schuldest.
ich: A propos Bier: ich hab‘ meinen Teil der Abmachung gehalten und einen Spielbericht geschrieben. Fährst du mir jetzt die Kiste zur Halle?
Wilde: Muß ich ja wohl. Gegen Hamburg Nord werden wir jeden Tropfen brauchen.
ich: Wilde – wir danken ihnen für dieses Gespräch.
Wilde: Du mich auch.
(arne)
Es spielten: Bü (Tor), Alv (4), Christian (1), Jonny (1), Michel, Martin K. (3), Holger, Sascha (2), Felix (Tor), Omar (3), Aron (1), Daniel (4), Arne (1), Wilde (4)